Copyright © WAZ - Bochum 03-10-2001

"Psychiatrisch Kranke haben keine Lobby"
Demonstration zum Gedenken an 500 Tote jährlich

Von Nadia-Maria Chaar

Psychiatrie-Tote - die meisten können sichdarunter wenig vorstellen. Menschen, die inder Psychiatrie gestorben sind, vermutete einePassantin. Andere schüttelten nur mit demKopf. Auch dass gestern der Gedenktag der Psychiatrietoten war, bekamen nur diewenigsten mit - trotz Demonstration in der City.

Mit Fackeln und Spruchbändern zogen knapp40 Demons-tranten gestern von der Pauluskircheüber die Massenbergstraße zum Bermudadreieckund in die Innenstadt. MangelndeÖffentlichkeitsarbeit im Vorfeld vermuten dieVeranstalter als eine Ursache für diebegrenzte Teilnahme. Aber auch die Angst derTeilnehmer, erkannt zu werden.Psychiatrieerfahrung sei heutzutage nichtgerade gut fürs Image.

So zogen sie leise - wie es sich für einen Gedenkzug gehört - und vielfach unbeachtetdurch die Fußgängerzone. Nur wenn sie Stationmachten, erfuhren die Passanten mehr: Wenn 50Menschen weltweit an Lipobay stürben, führedas zu einer Gesetzesänderung - doch dass diePharmaindustrie jährlich 5000 Tote produziert,das interessiert keinen, so Inge Kramer vomLandesverband der Psychiatrieerfahrenen.

In Deutschland seien es jährlich 500 Psychiatriepatienten, die an Psychopharmakaund deren Nebenwirkung stürben, berichtet dieSprecherin des Landesverbandes. Fehldiagnosenund Überdosierungen seien die Ursache. Die Beipackzettel warnten zwar vor Nebenwirkungen- von Herz-Rhythmusstörungen bisNierenversagen und Selbstmordgefahr - doch diePatienten seien machtlos, sich zu wehren unddie Ärzte verschrieben weiter, so die Berichteder Betroffenen.

Dass ihre Warnungen missachtet würden zeige die Verdreifachung der verschriebenenPsychopharmaka in den letzten drei Jahren.Doch Psychiatriepatienten hätten keine Lobby. Ein Pauschalrezept haben die Demostranten nicht. Doch in einem ist sich Demonstrant UdoStahlsmeier sicher: Wirksamer alsDauermedikation wären ein offenes Ohr, ein ausgedehntes Gespräch, Zeit und Verständnisfüreinander. Einem Menschen, der in eineremotionalen Krise ist, muss man doch Zeitgeben, sich wieder zu fangen.

HOME
Impressum