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Frankfurter Rundschau

Ärger um neuen Paragrafen

Verbände von Psychiatriepatienten fürchten Entmündigung

Betroffenenorganisationen von Psychiatriepatienten protestieren gegen die Neufassung des Paragrafen 1906 a. Der Bundesrat in Berlin soll die veränderte Fassung des Betreuungsgesetzes am heutigen Freitag verabschieden.

VON PETER NOWAK

Berlin · 18. Dezember · Die Neufassung des Paragrafen sieht vor, dass psychisch Kranke künftig gegen ihren Willen mit nervenlähmenden Neuroleptika oder stark abhängig machenden Antidepressiva ambulant zwangsbehandelt werden können. Das war bisher nur bei einer stationären Behandlung möglich.

Nach Ansicht der bayerischen Sozialministerin Beate Merk (CSU) schließt das veränderte Gesetz eine "gefährliche Sicherheitslücke im Betreuungsrecht. Wir müssen heute untätig mit ansehen, wenn das Gefährdungspotenzial eines schwer kranken Menschen zunimmt, weil er auf Grund von Uneinsichtigkeit eine notwendige ambulante Behandlung ablehnt oder abbricht."

Die Verbände der Betroffenen befürchten dagegen Entmündigung. "Unsere Lage verschlechtert sich dramatisch. Das neue Gesetz verstößt gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit", sagt der Vorsitzende des Landesverbandes der Psychiatrie-Erfahrenen Nordrhein-Westfalen, Matthias Seibt. Der "Verein zum Schutz vor psychiatrischer Gewalt e.V." und die Vereinsprojekte "Weglaufhaus" und "Einzelfallhilfe Support" in Berlin warnen vor den Folgen des Gesetzes für die Familien der Patienten. "Tritt das neue Gesetz in Kraft, ist es künftig auch Familienmitgliedern möglich, den Betroffenen zwangsweise der Medikation mit Psychopharmaka oder einer psychiatrischen Behandlung zuzuführen", heißt es in einer Pressemitteilung vom Donnerstag.

Inzwischen haben sich die rot-grün regierten Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein der Kritik an dem Gesetz angeschlossen. Ein Änderungsantrag des Landes Nordrhein-Westfalen will die zwangsweise Vorführung zur ambulanten Heilbehandlung mit dem Verweis auf erhebliche Eingriffe in Grundrechte aus dem Paragraphen 1906 streichen lassen.

"Die Ausweitung von Zwangsmaßnahmen gegenüber psychisch Kranken konterkariert darüber hinaus die derzeit europaweit geführten Fachdiskussionen, die auch auf der Ebene des Europarates fordern, das Selbstbestimmungsrecht psychisch Kranker und geistig Behinderter in den nationalen Gesetzen stärker zu verankern", heißt es in dem Antrag.

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