Der Tagesspiegel
vom 9. August 1999
 


Neue Gedenkstätte

Momper für eine Erinnerung an die Euthanasie-Opfer

Die Senatskanzlei und die CDU reagieren abwartend bis ablehnend

Amory Burchard und Ekkehard Schwerk

Auf Berlin kommt eine neue Gedenkstätten-Diskussion zu. Nach dem Beschluss des Bundestages, ein Holocaust-Mahnmal zu bauen, und den jüngsten Forderungen nach einem Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma gibt es jetzt eine Initiative für eine Stätte des Gedenkens an die Euthanasie-Opfer. Der Bundesverband der Psychiatrie-Erfahrenen setzt sich für den Bau eines "Hauses des Eigensinns / Museums der Wahnsinnigen Schönheit" am historischen Ort in der Tiergartenstraße 4 in Berlin ein.

"Die Euthanasie war der Beginn der nazispezifischen Vernichtungsstrategie, die Blaupause für die ,Endlösung'", begründet René Talbot, Sprecher des Bundesverbandes, die Initiative. Im "Haus des Eigensinns" sollen die Euthanasie-Verbrechen dokumentiert und eine Sammlung von Kunstwerken psychisch kranker Künstler - die "Prinzhorn-Sammlung" - ausgestellt werden.

Die Museumspläne sind in Berlin schon jetzt umstritten: Während sich ein "Freundeskreis" mit prominenten Mitgliedern wie Rhetorik-Professor Walter Jens und der ehemalige Präsident der Berliner Ärztekammer, Ellis Huber, vehement dafür ausspricht, reagieren die Senatskanzlei und Teile der CDU noch abwartend. Uwe Lehmann-Brauns, kulturpolitischer Sprecher der CDU, warnt allgemein vor einem "Wald der Mahnmale" und hält eine "Konzentration auf authentische Orte" für eindrücklicher. "In guter Obhut" könne das Gedenken an die Euthanasie-Verbrechen in der "Topographie des Terrors" sein. Aus der Senatskanzlei verlautet, man sei über den Vorstoß für eine Gedenkstätte zwar unterrichtet, wolle sich aber noch genauer damit befassen, um zu einer sachgerechten Bewertung zu kommen.

Nach der Adresse der einst in einer Villa in der Tiergartenstraße 4 gelegenen Zentraldienststelle, die für die Organisation der Verbrechen zuständig war, begann 1939 die "Aktion T 4". Bis 1945 wurden fast 200 000 Psychiatriepatienten, geistig Behinderte und kranke Häftlinge ermordet. Das Gebäude wurde im Krieg zerstört. Bislang erinnert lediglich eine in den Gehweg eingelassene Bronzeplatte an die hier geplanten Verbrechen. Auf dem Gelände an der Philharmonie (Tiergartenstraße/Ecke Herbert-von-Karajan-Straße) soll nach Plänen des Bundesverbandes der Psychiatrie-Erfahrenen ein kreisrundes Museumsgebäude als "Bannkreis-Kranz" um die imaginäre Villa der "Aktion T4" mit rund 1000 Quadratmeter Nutzfläche entstehen. Zur Finanzierung gebe es ein Stiftungskapital von 1,7 Millionen Mark, eine ebenso hohe Summe solle von der Bundesregierung kommen. Bei Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing habe der Freundeskreis die "Freigabe des Museumsgrundstückes" erbeten, sagt Talbot, der auch Sprecher des Freundeskreises ist. Zu den prominenten Befürwortern des "Hauses des Eigensinns" mit Euthanasie-Gedenkstätte und einer Ausstellung von Kunstwerken psychisch Kranker gehört auch der Rhetorik-Professor Walter Jens, ehemaliger Präsident der Berliner Akademie der Künste. "Das Projekt ist außerordentlich wichtig", sagte Jens jetzt gegenüber dem Tagesspiegel. "Wir sind es denjenigen schuldig, die das große Leiden mit großer Kreativität verbunden haben." Die Erinnerung an die Ermordung Geisteskranker im Nationalsozialismus sei auch heute, "in gut demokratischen Zeiten noch relevant". Psychisch Kranke würden diskriminiert, sie könnten den ihnen zustehenden Platz in der Gesellschaft nicht einnehmen. In der Berliner Politik gibt es ebenfalls gewichtige Stimmen für eine "Euthanasie"-Gedenkstätte. Walter Momper (SPD) hat sich gegenüber dieser Zeitung für die Initiative ausgesprochen: "Ich bin dafür, und das gilt für jede Opfergruppe." In Berlin müsse der Opfer der Euthanasie angemessen gedacht werden, die Gedenkplatte allein könne dies nicht erfüllen.

Die "Sammlung Prinzhorn", die im "Museum der Wahnsinnigen Schönheit" gezeigt werden soll, ist nach dem Heidelberger Psychiater Hans Prinzhorn benannt. Er trug die 5000 Bilder zwischen 1919 und 1921 zusammen. Bis heute wird die Sammlung in der Universität Heidelberg verwahrt, aber die Initiatoren der Berliner Gedenkstätte beanspruchen sie für ihr Projekt. Der Bundesverband der Psychiatrie-Erfahrenen wirft Prinzhorn vor, die Werke "böswillig", das heißt ohne Einverständnis der Künstler oder ihrer Vormünder, erworben zu haben. Außerdem sei die Psychiatrie der Universität Heidelberg maßgeblich an der Euthanasie-"Forschung" beteiligt gewesen. Die Universität lehnt es aber ab, ihre Sammlung herauszugeben. Sie will der Sammlung nun ebenfalls eine Dauerausstellung einrichten.

Zum künstlerischen Wert der Sammlung sagt Ellis Huber: "Die Prinzhorn-Sammlung ist der Inbegriff des kulturellen Potentials von Menschen, die auffallen." Die Sammlung in Berlin, am Ort der "Aktion T 4" zu zeigen, hieße, "das kulturelle Ausmaß des Verbrechens" zu dokumentieren.

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