7.11.2003, Nr. 259 - ansichten 2

Junge Welt

Kundgebung gegen Vormundschaftsrecht: Werden Betroffene entmündigt oder betreut?


Rene Talbot ist Vorstandsmitglied des Vereins "Irren-Offensive", der im Bereich der Zwangspsychiatrie für Menschenrechte aktiv ist

Sie haben am gestrigen Donnerstag die Kundgebung "Zwangsentmündi-gung ist ein Verbrechen" vor der Schleswig-Holsteinischen Landesvertretung in Berlin angemeldet. Warum?
Weil dort bei der Konferenz der Landesjustizminister die politischen Gleise gestellt wurden für die Reform des Vormundschaftsrechtes. Mit dieser Reform werden auf dem Feld der Psychiatrie nur Tippelschritte hin zu Menschenwürde und Selbstbestimmung gemacht. Das grundsätzliche Unrecht aber bleibt bestehen und wird verlängert. Statt ein Verbrechen zu beenden, bleiben die Betroffenen isoliert - darüber sind sich die Justizminister der 16 Länder einig.

Was genau ist Ihr Problem mit dem Vorniundschaftsrecht?
Daß sich die Lage der Betroffenen radikal verschlechtert hat. Bei der letzten Novellierung des Entmündigungsrechts 1992 kam es zu seiner Umbenennung von Entmündigung in Betreuung. In den zehn Jahren danach hat sich die Zahl der Entmündigten um mehr als das Zweieinhalbfache auf über eine Million Menschen gesteigert. Der Fakt ist der gleiche geblieben, aber die Betroffenen werden jetzt arglistig darüber getäuscht. Betreuung vermittelt ihnen, es gehe um Treue ihren Interessen gegenüber, tatsächlich aber gilt die Treue der "Betreuer" den entmündigenden Instanzen Gericht und Staat. Diese semantische Täu-
schung hat zum beschriebenen Anstieg geführt. Wir fordern deshalb die Rückbenennung in das, was es ist: Entmündigung. Ein Verlust der Grundrechte. Vom Menschen wird man zum Stück Fleisch, das kein Recht mehr auf körperliche Unversehrtheit oder die Freiheit des Denkens hat. Nur getötet werden darf es nicht.

Was setzen Sie dem entgegen?
Das politische Endziel der Irren-Offensive ist die Abschaffung des Betreuungs-/Entmündi-gungsrechtes. Neben einer Rückbenennung in Entmündigungs-recht wollen wir die juristische Möglichkeit der Vorsorgevollmacht stärken, weil sie eine Möglichkeit bietet, die Zwangsent-mündigung zu verhindern und die Selbstbestimmung der Betroffenen umfassend zu sichern. Das dokumentiert sogar die Justizministerkonferenz in ihren eigenen Papieren.

Was planen Sie nach dieser Kundgebung?
Wir werden weiter versuchen, politische Gespräche zu führen. Parallel zu unserer Kundgebung haben wir alle Mitglieder des Bundestages von unsere Stellungnahme informiert. Des weiteren wollen wir dafür zu sorgen, daß die vorhandenen Möglichkeiten der Vorsorgevollmacht von den Betroffenen in der alltäglichen Praxis massenhaft genutzt werden. Denn damit haben wir ein Mittel, um das Rückgrat der Zwangspsychiatrie zu brechen: Gewalt und Zwang.

Interview Matthias Pfeiffer

 

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