Das Psychiatrische Testament
Ein Titel und eine Bezeichnung, über die sicher manche stolpern werden.
Worum geht es, was ist gemeint ?
Zunächst einmal ist dieser Begriff angelehnt an den des "Patiententestamentes", in dem körperlich Kranke festlegen können, wie sie im Falle einer schweren Erkrankung, vielleicht sogar im Koma liegend, behandelt werden wollen.
Dabei werden unter anderem Fragen der passiven Sterbehilfe ("Apparate abstellen"), der Krankenhauswahl und des Sterbens zu Hause durch den und im Sinne des Betroffenen geregelt.
Das lateinische Verb testor, von dem das Wort Testament abgeleitet ist, bedeutet im Ursprung "jemanden zum Zeugen anrufen, bekunden und dartun", hat also mit dem heutigen Sprachgebrauch als "letzte Verfügung" nur indirekt etwas zu tun.
Und in diesem ursprünglichen Sinne ist auch der Begriff des "Psychiatrischen Testaments" gemeint.
In einer Situation, in der er/sie, ärztlich bestätigt, die volle Verantwortung für sich übernehmen kann, in einer "gesunden" Phase also, legt derldie Betroffene fest, wie erisie behandelt oder nicht behandelt werden möchte, wenn in einer anderen, "kranken" Phase Dritte meinen, dem Betroffenen die Verantwortung für sein Leben abnehmen zu müssen.
Dazu H. Rolshoven und P. Rudel, Rechtsanwälte in Berlin und Verfasser des juristischen Textes des "Psychiatrischen Testaments", in ihrem Vorwort zum Meistertext (in der Redaktion im Sozialzentrum erhältlich):
"Menschen wie Sie und wir können - in Anlehnung an das Patiententestament und den letzen Willen - im Zustand der nicht angezweifelten Vernunft und Normalität, eine schriftliche Erklärung verfassen, in der Sie genau und wohlüberlegt festlegen, wie Sie behandelt - oder aber nicht behandelt - werden wollen, sollten Dritte Sie als geiste skrank und behandlungsbedürftig diagnostizieren. Diese Erklärung wird das "Psychiatrische Testament " genannt.
Das "Psychiatrische Testament" ist weitgehend bindend, obwohl es in einer sog.
"rechtlichen Grauzone" angesiedelt ist. Erfahrungen nicht nur in Berlin zeigen, daß die meisten psychiatrischen Ärzte sich an eine solche Verfügung halten, unter anderem wegen des erheblichen Druckes, den die im Testament benannten Vertrauenspersonen des Betroffenen direkt, über die Medien oder sogar straf- bzw. zivilrechtlich ausüben können.
Kernstück des "Psychiatrischen Testaments" ist im Abschnitt 11 die "Erklärung meines Willens bezüglich des Umgangs mit mir". Hier kann der Betroffene einsetzen, was ihm wichtig erscheint, wie z. B.: kein Haldol, höchstens evtl. Leponex, sonst keine Neuroleptika, keine "Isolationsbehandlung", Möglichkeit des regelmäßigen Besuchs von
Gottesdiensten, vegetarisches Essen, Besuchsrecht und unbeschränkte Telefoniererlaubnis, mindestens eine Stunde am Tag an der frischen Luft,
Zwangsfixierung nur mit Einverständnis meiner Vertrauensperson, Behandlung nur im Krankenhaus XY (wichtig für Krisen im Urlaub oder sonst auswärts).
In unserer Redaktion ist bei der Bearbeitung des Themas eine lebhafte Diskussion in Gang gekommen. Wir haben uns entschieden, die vielfältigen Pro- und Contra- Argumente zu sammeln und sie als Gesprächsgrundlage für hoffentlich interessierte Meinungsbildung zu veröffentlichen.
Pro:
- das Abfassen meines Psychiatrischen Testamentes zwingt mich zur Auseinandersetzung sowohl mit meiner Erkrankung, als auch mit vorherigen Behandlungen;
- ich kann meine Behandlung aktiv mitgestallten. (Mitspracherecht);
- endlich werde ich als Experte für meine Erkrankung anerkannt;
- bisherige Behandlungserfahrungen können konstruktiv umgesetzt werden;
- die Diskussion des Psychiatrischen Testamentes mit dem Arzt fördert die Zusammenarbeit;
- das Psychiatrische Testament nimmt mir die Angst vor einer Zwangsbehandlung;
- das Psychiatrische Testament bricht Routine und Willkür in meiner Behandlung auf;
- ich werde individuell behandelt Standards erübrigen sich;
- die Regelungen des Psychiatrischen Testamentes gelten in allen psychiatrischen Einrichtungen;
- ich stehe nicht alleine da, meine Vertrauenspersonen stärken mir den Rücken.
Contra:
- das Psychiatrische Testament ist rechtlich nicht bindend;
- ich befinde mich damit in einer rechtlichen Grauzone;
- der Arzt fühlt sich übergangen, eventuell sogar bedroht;
- ein Vertrauensverhältnis ist nicht mehr möglich;
- "Druck" erzeugt "Gegendruck";
- ich brauche kein Psychiatrisches Testament, ich wurde auch so immer gut behandelt;
- mein Arzt kennt mich auch so. Er weiß, was ich will und was ich brauche;
- ich kann mir in gesunden Phasen nicht vorstellen, was ich in kranken Phasen brauche;
- ein Psychiatrisches Testament nimmt mir die Sicherheit, die durch das traditionelle Arzt-Patient-Verhältnis gegeben ist;
- mein Psychiatrisches Testament kann mir als "mangelnde Krankheitseinsicht" ausgelegt werden;
- ein Psychiatrisches Testament ist Zeitverschwendung, die Arzte machen doch sowieso was sie wollen.