Die Geschichte vom rotem Pinguin


Es war einmal ein kleiner Pinguin, der war rot. Er war zur Stunde des Sonnenaufgangs geboren, wo der Himmel von gleitendem Rot übergossen schien, was in der Antarktis sehr selten vorkam. Und in eben diesem Augenblick kam er zur Welt. Die Sonne hatte ihm etwas von ihrem Rot gelassen, und vor allem sein Herz war rot und voller Wärme.

Doch niemand, nicht einmal der kleine Pinguin selbst, wußte davon; sie sahen alle nur das Rot seines Pelzes, und er war ihnen fremd. Er trug nicht den normalen schwarzen Frack über dem weißen Daunenkleid, und beim Versteckspielen verlor er auch immer, denn in der weißen Schnee- und Eislandschaft sah man ihn schon aus mehreren Kilometern Entfernung.

Manchmal saß der kleine Pinguin auf einer Eisscholle und weinte. Warum war er rot? Warum war er anders? Und warum lachten ihn alle aus? Was ist so schlimm an der Farbe, daß man ihn deshalb ausschloß?
Oft weinte er nächtelang.

Eines Tages faßte er den Entschluß seinen Koffer zu packen und wegzugehen. Vielleicht gab es irgendwie viele rote Pinguine und er war einfach nur verloren gegangen, oder vielleicht gab es irgendwo eine Pinguinfamilie, die ihn aufnahm, so wie er war.

So zog er eines nachts los und ging auf die Suche.
Es folgte eine mühevolle Reise.
Er kam an vielen Pinguinfamilien vorbei, doch die kleinen Pinguine liefen voller Furcht zu ihren Müttern; sie hatten Angst vor ihm. Er weinte immer mehr. Alles um ihn herum wurde naß von Tränen. Plötzlich wunderte er sich. Warum gefroren seine Tränen nicht, wie er das von anderen Pinguinen kannte; Sie weinten und hinterließen Eisperlen und Tropfen aus Eis. Doch seine Tränen bildeten eine Pfütze, obwohl es weit unter dem Gefrierpunkt war. Der kleine Pinguin wunderte sich sehr, aber er fand keine Erklärung.

So wanderte er Jahr für Jahr durch die Eiswüste, einsam und verloren.
Eines Tages jedoch war da ein ganz kleiner Pinguin der hinter einem Schneehaufen saß und weinte. Er fragte ihn, warum er weine, und der kleine weiße mit dem schwarzen Frack erzählte ihm warum er so traurig war und merkte gar nicht, daß der rote Pinguin rot war oder gar angsteinflößend. Er drückte seinen Schnabel ganz fest in desen rote Daunen und spürte eine nie gekannte Wärme. Lange weinte der Kleine noch und tankte von dieser wohligen Wärme die ihn umgab wie eine schätzende Hülle.

Als er sich beruhigt hatte, merkte er plötzlich, daß der andere von roter Farbe war. Er wunderte sich, hatte aber keine Angst, denn wer in dieser kalten Gegend soviel Wärme besaß, konnte doch nicht böse sein. Er fragte natürlich, woher die Farbe komme, aber er gab sich mit einem "Das weiß ich auch nicht" zufrieden.
Der kleine Frackträger nahm den roten Pinguin an die Hand und nahm ihn mit zu seiner Familie. Die anderen reagierten in gewohnter Weise auf sein Erscheinen, aber der kleine erzählte sofort was ihm widerfahren war und beharrte darauf, daß er bleiben durfte. So geschah es.

Mit der Zeit werde der rote Pinguin zum festen Bestandteil der Familie. Er hörte den anderen zu, er konnte ihre kalten verhärteten Herzen schmelzen.... er konnte aber auch famose Geschichten erzählen und die kleinen Pinguine erfreuen, schon allein weil es bei ihm immer so wohlig warm war. So wurde der rote Pinguin glücklich und fühlte sich endlich zu Hause.

Und eines Morgens, als er früh auf einen Eisberg gestiegen war, um die Aussicht zu genießen und um die Sonne aufgehen zu sehen, erblickte er, als sie über den Horizont lugte, um die Nacht zu vertreiben, wie der ganze Himmel wie mit roter Farbe begossen schien.

Auf einmal hatte er das Gefühl, die Sonne habe ihm zugeblinzeit und gesagt: "Ich habe dir die rote Farbe verliehen. Ich bin froh, daß du deine Fähigkeiten gesucht und entdeckt hast, und daß du deine Wärme an andere verschenkst.
Du bist eine lebendige Sonne."

Fröhlich pfeifend schlenderte der rote Pinguin später den Berg hinab. Er war glücklich! Glücklich, eine Aufgabe zu haben! Und schon von weitem sah und hörte er, wie der kleinen Pinguine auf ihn zuliefen und es gar nicht mehr erwarten konnten, daß er eine neue Geschichte erzählte.

Barbara Böckmann