INHALT

IMPRESSUM


'Seelenpresse' - Zeitschrift für Psychiatrie

Zeitschrift für und von:
Psychiatrieerfahrene, Patienten, Angehörige, Psychiatrieinteressierte,
Laienhelfer, Suchtkranke, Mitarbeiter, Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen

Redaktionssitzung:
Christophsbad Göppingen Badhaus 2.OG
Dienstags 16.00-18.00 Uhr TeL: 601-228

Verantwortlicher Redakteur: Rolf Brüggemann

Redaktionsteam:
Ellen Zopperitsch, Bemd Müller,
Angelika Millauer (Korrespondenz), Wolfgang Kefeder, Maxi von Zitzewitz (Werbung und Vertrieb), Gisela Schmid-Krebs, Rolf Brüggeman, Manni Deissler, Burkhard Roling.

an diesem Heft wirkten mit:
Sonja Kast, Gerhard Kolb, Harald Boffenmever, Birgit Figur, J.K..
Volker und Dirk von Malinckrodt.
Kinderschutzzentrum. Literarische Werkstatt Göppingen

Für Beiträge, die mit Namen gekennzeichnet sind,
übernimmt der/die Autor/in die Verantwortung.



Adresse:
Christophsbad
Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie
Postfach 840, 73038 Göppingen
Faurndaurstr. 6-28, 73035 Göppingen
Tel.: 07161/601-269, Fax: -530

Verkauf: Handverkauf, Lädle und Patientenbibliothek im Christophsbad,
Buchhandlung Bücherwurm in Göppingen

EDITORIAL

Es ist für die Redaktion der Seelenpresse ein zentrales Anliegen, uns und unsere Leser über Literatur insbesondere auch Gedichte zu bilden. Also behandelten wir in früheren Ausgaben Justinus Kerner, Anette von Droste Hülshoff, Wislawa Szymborska, Unica Zürn und andere. Immer interessierten uns neben den Texten auch die jeweiligen kreativen und sensiblen Persönlichkeiten, die ihre Seelen in diese Texte gelegt hatten. Unsere unumstößliche überzeugung ist es, daß diese so gehaltvollen Texte Bildung und Lebenshilfe sein können. Und dies nicht zuletzt, weil sie uns zu eigenem Tun Mut machen. "Die Zeit" vom 16. Mai 97 thematisiert im Leitartikel von Ulrich Greiner "Bücher für das ganze Leben" die Bedeutung der Literatur für Bildung und Selbstbewußtsein:
".....die geschichtsvergessene Leere. In die stolpert hinein, wer sprachlos ist und dem Müll der Bilder nicht das Eigene entgegenzusetzen weiß. Das Eigene? Es bestünde darin, daß eine oder einer, geschult an der von den Dichtern erzählten Erfahrung, ihre oder- seine Erfahrung erzählen könnte, um der eigenen Geschichte bewußt zu werden."

Im vorliegenden Heft stellen wir mit besonderem Fleiß und ausnahmsweiser Ausführlichkeit das Werk und Leben von Jakob van Hoddis vor. Mehr noch: wir organisierten zwei Lesungen und eine Ausstellung zu diesem Dichter, der sechs Jahre als Bürger in Göppingen und als Patient im Christophsbad lebte. Diese Aktionen waren möglich durch die fruchtbare Kooperation mit Fritz Bremer, der literarischen Werkstatt Göppingen, dem deutschen Literaturarchiv Marbach, dem Psychiatrie-Verlag, dem Jakob van Hoddis-Verlag, dem Arche-Verlag, der NWZ und der Stuttgarter Zeitung. Eine aufwendige Aktion zu Ehren des Jakob van Hoddis, an dessen Werk und an dessen Schicksal wir lernen wollen. Zitieren wir auch Hofmannsthal aus seinem "Gespräch über Gedichte", "Niemals setzt die Poesie eine Sache für die andere, denn es ist gerade die Poesie, welche fieberhaft bestrebt ist, die Sache selbst zu setzen. Wollen wir uns finden, so dürfen wir nicht in unser Inneres hinabsteigen. draußen sind wir zu finden, draußen. Wie der wesenlose Regenbogen spannt sich unsere Seele über den unaufhaltsamen Sturz des Daseins. Wir besitzen unser Selbst nicht. vor) außen weht es uns an".
Wir besitzen unser Selbst nicht. In der Lyrik des Jakob van Hoddis weht es uns an. Wir entdecken unsere Seelen zwischen dem großen Sturm und dem individuellen Schnupfen und sind am Anfang einer Welt.

SPRed


Die Redaktion der Seelenpresse auf den Spuren des Dichters
Jakob van Hoddis

Unser Interesse an Jakob van Hoddis (Pseudonym für Hans Davidsohn) rührt von einer konkreten historischen Betroffenheit: Jakob van Hoddis war von 1927 - 1933 Patient in Christophsbad. Wir haben die Krankengschichte mit einem (wohl dem letzten) Foto in den Händen und erkennen die schwere Erkrankung des Jakob van Hoddis: eine Schizophrenie, die aus dem vitalen, expressionistischen Lyriker eine ziemlich runtergekommene, abgebaute Gestalt macht.
Wir studieren die zwei vorliegenden Biographien über diesen Menschen und können sein Leben nachvollziehen, etwa die Stationen Bera, München, Paris, Tübingen, Göppingen, Koblenz und schließlich die Deportation durch die Nazis und die Endstation in einem polnischen KZ.
Verschiedene weitere Bücher vermitteln uns die expressionistischen Gedichte, von denen wir uns animieren lassen. Sekundarliteratur macht uns die literarische Bedeutung des Dichters und die Bewegung des Expresionismus anschaulich.

Wir recherchieren weiter im deutschen Literatutarchiv in Marbach, wo wir die Originalschriften ehrfürchtig in den Händen halten. Das ist schon ein eigenes Gefühl an diesem Kristallisationspunkt deutscher Literaturgeschichte fast 100 Jahre alt Gedichte mit Bleistift auf vergilbtem Papier zu
studieren. Jakob van Hoddis schrieb teils in latainischer, teils in Sütterlinschrift. In einem Gedicht, welches er als 15 jähriger seiner Mutter widmet, legt er sich bereits ein Pseudonym zu: Centella (d. h Funke). Funke wollte er sein in einem Dichterbrand. Da zeugt schon sehr früh etwas von der Aufbruchstimmung, von dem Sendungsbewustsein; war doch Jakob van Hoddis mit seinen Gedichten die Initialzündung für die expressionistische Literatur.
Unsere Studien in Marbach, mit freundlicher Hilfe der dortigen Bibliothekare und Germanisten, dauerten den gesamten Tag und waren sehr ergiebig. Für uns war der Besuch in Marbach der Höhepunkt unserer Recherche zu dieser Sonderausgabe.

Die Redaktion

Gegen Autorenverfolgung

Zum Jahrestag der Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten am 10. Mai 1933 hat der Verband deutscher Schriftsteller die "modemen Inquisitionsmethoden" zur Unterdrückung von Schriftstellern angeprangert. In vielen Ländern mit fundamentalistischen oder faschistischen Staatsregierungen herrsche weiterhin eine "Barbarei der Gleichschaltung von Kultur- und Geistesleben".

AP


Und sie sagten mir, wo die freiheit lebt

Lebt sie in mir oder weit? Geist, auf den
Weg, da du liebst Freiheit - Tore sind im
werdn. Bemalst Unfreiheit, die siegt. 0,
meine Bilder wagtn Freiheit, So du sie
findest. Male Geistr, Tiere. Bin wie du oh-
ne Heimat, ruf´s in die Welt. Beides trog.

Morgen ist bald un die Freiheit weit. Es
flehen die Windgeister, O, traeumt bis
ihr sie findet- Tuerme- da, wo sie lebt. Gin-
gest du weiter einsam, blind - Freiheit
waer' dein Lohn. Mut befreit Geist, dies
sagten sie mir, und wo die Freiheit lebt.

Ellen Zopperitsch


Fritz Bremer: In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
(Jacob van Hoddis; Fragmente einer Biographie)
Bonn, Psychiatrie Verlag 1996


Ein sehr lesenswertes und ein gut lesbares Buch. Die Biographie Jakob van Hoddis besteht aus Fragmenten weniger vorhandener historischer Dokumente, einfühlsamer Milieu- und Zeitbeschreibung sowie fiktiven Elementen. In Person des Dichters erleben wir die Zeit Anfang des Jahrhunderts hin zum zweiten Weltkrieg: den Idealisten, der zusammen mit Gleichgesinnten die Welt ändern möchte, den Orientierungssuchenden und Zweifelnden., der ob der Wirrnisse seiner Zeit irr werden möchte, der zunehmend in sich gekehrt, versteinerde, der nicht mehr aktiv einzugreifen vermag sondern zum Opfer der Verhältnisse wird. Parallel dazu die Entwicklung einer sehr schweren seelischen Erkrankung, die trotz dieser Bemühungen von Verwandten, Freunden und Fachleuten nicht aufzuhalten war. Es endet in dieser Zeit und in dieser Person als Katastrophe: der Krieg, der Progrom, die Schizophrenie, der Mord.

Die gleich dreifache Ettikettierung als Jude, als Expressionist und geistig Kranker mußte Jacob van Hoddis das Leben kosten. Doch kurz vor diesem fatalen Ende erlaubt sich Fritz Bremer einen fiktiven Eingriff in die Geschichte: er macht einen Zeitsprung um dreißig Jahre nach vom an einen einige hundert Kilometer südlich gelegenen Ort: Triest 1970: demokratische Psychiatrie. Eine traumhafte Rettung für Jakob van Hoddis, der sich numnehr von wohlmeinenden, toleranten Menschen umgeben sieht. Aber doch wohl ein kindlich naiver Traum, sich in eine schönere Zeit und in ein wärmeres Land zu wünschen. Eine notwendige, konkrete Utopie? Ich meine, in dieser Triest Vision liegt eher ein Schwäche des Buches, da hier die genauere Hinsicht Jakob und 15 Jahre in der Psychiatrie.

Ich fand es erstaunlich, daß damals die Hauspflege so intensiv genutzt werden konnte. Aus der Betreuung durch die beiden Familien geht kaum kritisches hervor. Und dann die langen Jahre in der Pychiatrie, die wohl notwendig wurden, da von Hoddis sich nicht recht pflegen lassen wollte und zunehmend auffällig und störend wurde. Er schien doch zufrieden im Park des Christophsbades herum zu laufen, spielte Schach, rauchte und ärgerte sich über die obligatorische Körperhygiene. Hier verbrachte er 6 Jahre, anschließende weitere 9 Jahre in einer anderen Psychiatrie, worüber offensichtlich keine Dokumente bestehen. Ich bezweifle sehr, daß ein Jacob van Hoddis heute besser in einer betreuten Triester Patientenwohngemeinschaft aufgehoben wäre.

Und dann bleiben da noch so viele Fragen an die Biographie: die Hinwendung zum Katholizismus, oder die systemhinterfragende Funktion des Expressionismus, oder das ineinanderübergehen von dichterischer Genialität und schizophrener Sprachverwirrung. Aber das alles ist nicht zu leisten, es sei denn, Fritz Bremer hätte sich mit Ernst Klee (Recherche, Gesellschaftsanalyse) und Wislawa Szymborska (Dichtung) zusammen getan. Das Buch also animiert zur weiteren Beschäftigung mit Autor und Werk des Jakob van Hoddis. Leider sind auf den Buchmarkt hierzu alle Quellen vergriffen zum Beispiel: Jakob van Hoddis, Dichtungen und Briefe, herausgegeben von Regina Nörtemann, 1987 Arche Verlag AG, Raabe + Vitati, Zürich und Helmut Hornbogen: Die Odysee eines Verschollenen, München-Wien , 1986.

Rolf Brüggemann

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Im Fokus der unterschiedlichen Blickwinkei befindet sich ein literarisch begabter Mensch, der zum Außenseiter wird, zum Irren - und das in einer Zeit in der der Nationalsozialismus drohend heranzieht und die Vernichtung all derjenigen betreibt, die als Fremde und Feinde definiert werden. In einer fiktiven Perspektive deutet Fritz Diemer die Alternative einer vorurteilstreien Begegnung mit dem Wahnsinn, mit dem Fremden an.


Das erste Mal in der Nervenklinik

"Ich bin Jude", stammelte der verwirrte Fünfzehnjährige. An der Hand seiner Mutter. "Ich bin der Schlächter von Lyon. Ich hab der Bini das Rückgrat herausgeschnitten." Der braune Mantel. Das ist der SS - Mantel. Schwermütig, blickte er zu Boden. Blieb stehn. "Komm, mein Lerntle, wir müssen gehn", sagte die Mutter mit weinerlicher Stimme. "Gehn wir ins KZ", sagte Lernt mit apathischer Stimme. Ich bin Jude. Aus dem KZ kommt man nicht mehr raus." "Geh, so was sagt man doch nicht", entgegnete die Mutter. Sie war dem Weinen nahe. Sie fuhren mit dem Zug Reutlingen - Tübingen. Schwiegen während der Fahrt. Der Gefangenentransport, dachte der Jugendliche entrückt, Treblinka, Buchenwald, Ausschwitz, jetzt bringen sie mich fort.

Der Fünfzehnjährige schleppte sich artig mit seiner Mutter und brav über die Neckarbrücke von Tübingen. Sie werden mit mir die Lobotomie machen. Dafür hat ein Psychiater den Nobelpreis bekommen. Die Lobotomie. Sie werden mir erst ein Schälmesser an den Kopf ansetzen und von meinem Gehirn etwas herausschneiden. Bis ich lammfromm bin. Wie sie es bei Schwerverbrechern machen. Bis sie lammfromm werden. Und zahm werden. Einem aus der Hand fressen. Wie mit einem Schälmesser und einem Apfel wird etwas aus meinem Gehirn etwas herausgeschält. Fein säuberlich. Oder sie werden mich vergasen. Früher haben sie auch viele Tausende psychisch Kranke vergast. Und kastriert. Aber das Dritte-Reich ist wieder emporgestiegen. Da komm, ich nicht mehr raus. Muß jetzt nur Verrückten und Geisteskranken zusammenkommen.

Das Dritte Reich ist wieder aufgetaucht. Apathisch, seinen Tod meinte er schon zu wittern, schleppte er sich mit seiner Mutter durch die schöne Altstadt von Tübingen. Es war ein todtrüber Tag. Nur der Himmel weinte. Und die Mutter. Ich gehe in den Tod, ratterte der Schädel des Jugendlichen wie ein machinengewehr, ich gehe in den Tod: Wie meine Juden vom Warschauer Ghetto. Wehrlos. Warumwehrenwiruns nicht, flüsterte, wisperte eine Stimme in ihm, horch, warum wehren wir uns nicht. Grüß Gott, wo geht es denn zur Osiander Nervenklinik? fragte die Mutter einen vorüberhastenden Passanten. Der Mann lachte: "Ach, zum Idiotenhügel wollen Sie!" Lernt blickte getroffen, wie von einer Gewehrkugel, zu Boden. Der Mann lachte wieder spöttisch. Gehn Sie immer geradeaus runter, dann über den Fußgänger weg, dann die Treppen in der Seitengasse hoch.

Der Passant blickte kurz gegen Lernt. Und erschrak. Lernt dachte: Hat er meinen Judenstern gesehn? Oder mein Kainsmal auf der Stirn. Später, sie steigen die Treppen hinauf. Wie Sysiphos, der den Stein hochrollt, zermarterte sich das Gehirn von Lernt. Oben, auf dem Idiotenhügel angekommen, thronte sie groß da: die Osiander Nervenldinik, ein uraltes, großes Gemäuer. Über dem Portal stand in Stein eingehauen: Für Nerven- und Gemütskranke. Hier war sie also, die versteckte, getarnte Vergasungsanstalt. Wo die Kamine versteckt waren. DieMutter lieferte ihren Sohn in der Osiander-Universitätsnervenklinik auf der offenen Station A 2 ab. Jetzt bin ich geliefert, marterte das Hirn von Lernt. Die Mutter konnte ihren Sohn nicht loslassen. Sie drückte ihn mehrmals heftig an sich, noch einmal und noch einmal. Sie schluchzte. In ihren Umarmungen fühlte sich Lernt gewürgt wie von einer Würgeschlange.

Mißtrauisch sah Lernt gegen den Mann, der ihm entgegenkam. Der Stationsleiter in normaler Kleidung und nicht in weißer Schürze fragte den jungen Mann freundlich: "Grüß Gott. Ich bin der Herr Koch. Sie sind der Herr - ?" "Jud. Der Jud bin ich." Lernt blickte düster zu Boden. Schaute ihn nicht an. Herr Koch streckte ihm die Hand nochmal aufmunternd zur Begrüßung entgegen: Nein ich meine, wie Sie heißen?" Lernt schwieg. Namen. Namen? Namen. So wie man zu einem Stuhl Stuhl sagt. Ich hab keinen Namen. Keinen Namen. Jud bin ich. Ich bin Nazi. Nazijude. "Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihr Zinmmer," sagte Herr Koch zu Lernt sehr freundlich. Mit warmer Stimme. "Sie sind Jude?" fragte ein alter Mann erfreut. "Wir sind hier alles Juden, hahaha! " Shalom", sagte Lernt mit finstrer Stimme. "Wo sind die Duschen ?" Herr Koch antwortete: "Sie können sich nachher duschen."

Lernt schaute die Patienten an. Blickt sich verstört um. Dann sagte er fest: ich bin bereit." Ein Patient kicherte: "Bist du der König hier, haha, ich bin bereit, haha." Herr Koch lachte kurz, winkte freundlich ab: "Also, kommen Sie, bei uns wird hier keiner vergast, kommen Sie!" Manche Patienten brachen aus in heftiges kindisches und wirres Gelächter. Vergasen! Vergasen! Haha! Wir vergasen höchstens nur noch Ausländer!! Lernt blieb wie eingemauert stehen.

Bernd Müller


Seinen Kopf hielt er bei Unterhaltungen gern etwas zur Brust geneigt; die Stirn war dann von einem Busch seines schwarzen Haupthaars überschattet, und seine tiefschwarzen Augen lugten geheimnisvoll hervor; plötzlich konnten sie, während seine Stirn hochschnellte, schalkhaft oder begeistert, wie von weither aufblitzen. Die Bewegungen seines Körpers waren überhaupt von überzeugender Gebärdensprache. Seine Statur war etwas zu klein, war aber wohlproportioniert, ja graziös bis zur Eleganz, war stämmig genug, daß sie «erwachsen», kräftig genug, daß sie mannhaft wirkte. Sein Gesicht, wie aus goldgelbem Bernstein geschnitzt, blieb der Photographie aus seiner ersten Studienzeit fast gleich, nur daß die Strenge seines Erlebens die Züge manchmal verdüsterte, manchmal glückhaft aufheiterte, sie verschärfte und veredelte. Erst die Krankheit hat diese herrisch klare Physiognomie gedämpft und erweicht.

Im ganzen war er bald wie ein pfiffig-launischer Kobold, ein gefährlicher Berggnom, den seine eigene Zauberkunst aufregt und bedrückt, bald fürstliche Unnahbarkeit ganz und gar, mit seinem «großen, grausen Humor»; gleich darauf wie ein zärtliches Kind eine fast sentimentale Dankbarkeit andeutend (für irgendeine Anregung, die das gar nicht verdiente) Blick und Wort mit einem sanften Hieb in die Rippen oder spitzbübisch mit einem Mundvoll Zigarrenrauch ins Gesicht begleitend; dann wieder mürrisch, herausfordernd in seiner abgekehrten Schwelgsamkeit, und wenn Ihn ein geschmackloses fremdes Wort aufstörte, vernichtend aus explodierendem Zorngelwölk oder hochmütig in wegwerfendem Hohn. Meist aber einfach der Freund, der unbefangen mitteilsam war, großäugig nehmend und gebend, darin kein Mein und Dein kennend.

In größerer Gesellschaft war er entweder der schüchternste oder der galanteste Plauderer und ging mit erwartendem Lächeln auf jeden Vorschlag ein. In aller Gelassenheit blieb sein Ausdruck immer stoßkräftig, voll geradezu unheimlich müheloser Wucht. Dabei war er aber nicht der Typ des intellektuellen Literaten, der stets gespannt darauf lauert, zu Wort zu kommen . Seine Redeweise, unter vier Augen wie im kleinen Kreis und in öffentlicher Diskussion, war immer Einfall ad hoc, aufzündende Improvisation, doch von aphorlstischer Gepreßtheit und Hintergründigkeit, gleichviel, ob es um einen anderen Menschen, um ein Kunstwerk, um Goethe, Homer, Rilke, Wedekind, Freud, um einen Kulturplan oder die Politik ging, oder ob er aus kurzer, scheinbar abwesender Versenkung einen präzis durchdachten Satz - bescheiden-leise doch schnell hervorbrachte, ihn aber [was Oberhaupt seine Gewohnheit war] mit einem leichten Schlag seiner Hand auf den Tisch unterstrich.

Erwin Loewenson: Jakob van Hoddis
Erinnerungen mit Lebensdaten



Kinderschutzzentrum Göppingen

Betreutes Besuchsrecht


In der Bundesrepublik Deutschland erleben jährlich immer mehr Kinder die Trennung und Scheidung ihrer Eltern. Dadurch werden Kinder immer seltener ihre gesamte Kindheit und Jugend in der Familie, in die sie hineingeboren wurden, verbringen.

Trennung und Scheidung bringen die ganze Lebensgewohnheiten einer gesamten Familie durcheinander. Für Kinder ist das Weggehen des einen Elternteils ein großes Verlusterlebnis. Gerade nach der Trennung brauchen die Kinder genügend Kontaktmöglichkeit zum getrenntlebenden Elternteil, um zu erfahren, daß sie nicht verlassen wurden, und sich an der Beziehung Elternteil/Kind nichts ändern wird.
Manchmal sind die Eltern noch voller Ärger aufeinander.
Es gelingt ihnen dann nicht eine gemeinsame Besuchsregelung für das Kind zu finden.


Was wollen wir erreichen?
Eltern und Kinder in einer Phase der Unsicherheit nach der Trennung zu begleiten und den Erwachsenen zu helfen ihre Aufgaben als verantwortliche Eltern wieder wahrnehmen.

Wie wollen wir das erreichen.
Der Kinderschutzbund bietet die Möglichkeit, daß die Besuchstreffen auf "neutralem Boden" beginnen und enden. Während der Treffen ist eine ehrenamtliche Mitarbeiterin des Kinderschutzbundes anwesend, die dafür sorgt, daß es den Kindern gut geht und die Hilfestellung in Umgang miteinander gibt.
Die Eltern können zeitverschoben kommen und müssen sich nicht begegnen, somit wird ihnen die Gelegenheit genommen Konflikte in Gegenwart der Kinder auszutragen.

Für die Kinder besteht so die Möglichkeit ungestört mit dem anderen Elternteil zusammen zu sein, trotz des elterlichen Konfliktes.

Wie sieht es konkret aus?
Zuerst führen wir ein Gespräch mit jedem Elternteil einzeln und mit den Kindern.
Die Eltern erzählen ihre Geschichte wenn sie wollen. Es soll herausgearbeitet werden was schief gelaufen ist. Wir sprechen darüber welche Perspektiven es gibt. wir stellen die Möglichkeiten und Grenzen unseres Projektes dar und klären die gegenseitigem Erwartungen ab.


Hierzu ein Fallbespiel:

Der Blick von Fr. Scheid:
Frau Scheid kommt, sie wurde vom Jugendamt auf unsere Einrichtung hingewiesen.
Vor einem Jahr hat sich ihr Mann von ihr getrennt und lebt mit einer neuen Lebensgefährtin zusammen.
Frau Scheid und Herr Scheid haben 2 Kinder, Sohn Adam (6 J.) und Tochter Eva (9 Jahre).

Sie sieht es nicht ein, daß sie ihre Kinder zu ihrem Mann schicken soll, er habe sich während der Ehe sowieso nicht viel um die Kinder gekümmert und jetzt brauchen sie ihren Vater schon gar nicht mehr. Schließlich habe er ja die Familie im Stich gelassen.

Auf jeden Fall läßt sie ihre Kinder nicht in das Haus, in dem er mit dieser Frau lebt, und er kommt auch nicht mehr in ihr Haus.

Daß die Kontakte in Räumlichkeiten des Kinderschutzbundes stattfinden, mit dem Gedanken könnte sie sich schon eher anfreunden. Sie traut ihm nicht. Er wird den Kindern irgendeine verquere Geschichte erzählen, warum er die Familie im Stich gelassen hat.
Wenn eine Betreuerin dabei anwesend ist, ja dann könnte sie es sich schon eher vorstellen, wobei das ihm gar nicht passen wird.

Der Blick von Herrn Scheid:
Herr Scheid ist recht verärgert. Seine Frau habe wohl ´ne Meise, was wolle sie ihm unterstellen? Er habe immer guten Kontakt zu seinen Kindern gehabt. Klar, habe er nie viel Zeit für sie gehabt. Er sei ja schließlich der Brötchenverdiener gewesen und auch immer noch.
Aber in der Freizeit habe er viel mit den Kindern gemacht, also das könne sie ja wohl schlecht betreuen. Wir sollen sie mal fragen wer den beiden das Fahrradfahren, das Schwimmen... beigebracht habe. Seine Frau bestimmt nicht, die habe immer nur geguckt, ob die Kinder ordentlich gekleidet seien, habe an ihnen rumgemeckert, Zimmer aufräumen usw. , aber gespielt habe die nie mit den Kindern. Und jetzt solle er seine Kinder nur unter Betreuung sehen, das sei ja wohl der absolute Gipfel, das müsse erst einmal gerichtlich geklärt werden.

Der Blick der Kinder:
Frau Scheid kommt mit Adam und Eva. Wir stellen uns und unsere Arbeit vor und erklären den Kindern wie eine, Betreute Umgangsregelung abläuft. Wir fragen Adam und Eva ob Sie sich "so was" vorstellen können.

Eva meint, sie möchte diesen Mann nicht sehen, er sei ein Verräter.

Sie lässt sich auf eine Betreute Umgangsregelung ein, da ihre Mutter ihr gesagt habe ihr Vater habe das Recht sie zu sehen. Der Vater mache der Mutter sonst Schwierigkeiten. Adam schweigt. Auf Frage ob er sich eine Betreute Umgangsregelung vorstellen kann meint er zögernd: "Ja".

Frau Scheid: "Sehen Sie, die Kinder wollen gar nicht! Wie ist das überhaupt, Sie als Mitarbeiter des Kinderschutz bundes, zwingen sie die Kinder, wenn sie nicht wollen?" "Nein. Wir machen Ihnen dieses Angebot. Ob Sie es in Anspruch nehmen möchten entscheiden Sie!
Kurz: wenn sie sich für ein Betreutes Besuchstecht entschließen, sollten Sie ihre Kinder auf einen Besuchskontakt vorbereiten."



Wie geht es weiter?

Sie entscheiden sich für eine Betreute Besuchsregelung, sie unterzeichnen die Vertragsvereinbarung.

In unserem monatlichem Betreuertreff wird der Fall vorgestellt. Es findet sich eine Betreuerin. Dies wird den Eltern mitgeteilt.

Frau Scheid ist recht kritisch, sie ist sich unsicher, ob sie da den Kindern etwas gutes tut. Sie versichert sich nochmal, ob wir den Kindern in ihren Wünschen auch ernsthaft berücksichtigen.

Herr Scheid ist unzufrieden, notgedrungen läßt er sich auf die Maßnahme ein, sonst würde er seine Kinder ewig nicht mehr zu Gesicht bekommen.

Es werden Termine mit der Betreuerin vereinbart.

Frau Scheid und die Kinder und die Betreüerin treffen sich in den Besuchsräumen des Kinderschutzbundes.
Frau Scheid stürzt sich gleich auf die Betreuerin und überhäuft sie mit ihren Bedenken. Die Betreuerin stellt klar, daß sie nur für die Kinder zuständig ist, sie solle sich an die Beraterin, Fr. Maier wenden.

Herr Scheid erhält auch die Möglichkeit die Betreuerin kennenzulernen.

Die Betreuerin soll zu den Kindern eine Vertrauensbasis aufbauen. Die Kinder sollen im Laufe der nächsten Termine langsam daran gewöhnt werden alleine bei der Betreuerin zu bleiben. Diese sollte sich sicher fühlen im Umgang mit den Kindern und die Signale der Kinder auch verstehen können.

Die Mutter bringt die Kinder und geht dann wieder.

Dann informieren wir Herrn Scheid und vereinbaren mit ihm erste Termine. Frau Scheid bringt die Kinder und geht. Eine 1/4 Stunde später kommt Herr Scheid. Er ist sehr aufgeregt und leicht gereizt.
Die Kinder sind auch nervös, bleiben erst mal hinter der Betreuerin.
Die Betreuerin unterstützt Kinder und Vater bei der Begrüßung. Kinder und Vater sehen sich nicht an. Um die Situation zu entspannen macht sie ein Spielangebot. Vater und Kinder nehmen dieses Angebot dankbar an. Im Laufe des Spiels werden schüchterne Blicke ausgetauscht, es kommt sogar zum Lächeln. Adam nähert sich seinen Vater, setzt sich auf seinen Schoß. Eva ist zurgckhaltender, jedoch .nicht mehr abgewandt.


Im Schutze dieses Schonraumes können die Kinder sich auf den anderen Elternteil einlassen.
Nach dem Treffen informiert die Betreuerin Frau Scheid darüber, daß das Treffen gut verlaufen ist. Über Details sagt sie nichts.

Während einer Betreuten Umgangsrechtsregelung bieten wir Eltern Verlaufsgespräche an. Wir reden auch mit den Kindern wie es ihnen bisher gefallen hat und.was wir verbessern können.
Es geht darum, die Eltern zu begleiten und zu unterstützen, ihre Paarkonflikte auf der Elternebene rauszunehmen und eine konstruktive elterliche Verständigungsebene wieder zu entwickeln.

Im Betreuertreff werden Erfahrungen ausgetauscht. In der monatlichen Supervision die Fälle gemeinsam mit einer psychologisch geschulten Fachkraft angesehen.
Darüberhinaus bietet der Kinderschutzbund den Betreuern themenbezogene Fortbildungen an.


Hermann Behr:

"Niemals war eine Zeit von solchem Entsetzen geschüttelt, von solchem Todesgrausen. Niemals war die Welt so grabesstumm. Niemals war der Mensch so klein. Niemals war ihm so bang. Niemals war der Friede so fern und Freiheit so tot. Da schreit die Not jetzt auf: der Mensch schreit nach seiner Seele, die ganze Zeit wird ein einziger Notschrei. Auch die Kunst schreit mit, in die tiefe Finsternis hinein, sie schreit um Hilfe, sie schreit nach Geist:
Das ist der Expressionismus."



Interview mit dem Psychiater Herrn Dr. Kolb über Jakob van Hoddis durch Eilen Zopperitsch von der Redaktion.

Wie sahen die Therapiemaßnahmen.für J.v.H. aus?
Er bekam nur zeitweise Medikamente, wenn er sehr unruhig war, besonders nachts. Ein jüdischer Mitpatient fühlte sich dadurch gestört. Überwiegend verhielt er sich ruhig, war aber kaum ansprechbar

Warum kam er 1933 vom CB nach Bendorf-Sayn, einer jüdischen Anstalt? Hatte das mit der Machtübernahme der Nazis zu tun?
Man kann davon ausgehen, daß die Verlegung von den Angehörigen gewollt war. Nachdem die Mutter nach Israel emigriert war, übemahm ihr Bruder die Vormundschaft. Eventuell waren auch finanzielle Gründe für die Verlegung ausschlaggebend. Sie könnte aber auch zum Schutz des Patienten erfolgt sein. Denn als unheilbar Kranker und Jude war er in der Zeit des Nationalsozialismus extrem gefährdet. In der Jüdischen Anstalt konnten zum Wohle der Patienten die jüdischen Sitten gepflegt werden.
Maier Jacobi gründete das Haus 1869. Weitergeführt wurde es von den Brüdern Paul und Fritz Jacobi. 1940 Auswanderung der beidden nach Uruguay. Die Klinik wurde anderen jüdischen Ärzten übergeben, die nicht auswandern konnten. Es war die einzige jüdische Privatklinik. Sie umfaßte 200 Betten.

Hätte das CB etwas tun können, um sein Schicksal abzuwenden?
Das CB konnte die Verlegung nicht verhindern. Zu diesem Zeitpunkt war sein weiteres Schicksal nicht abzusehen.

Wurde er als Dichter wahrgenommen?
Seine Veröffentlichungen waren bekannt, aber den Gedichten wurde keine besondere Bedeutung beigemessen. Man sah ihn als Außenseiter, nicht als Künstler. Er hat hier nicht mehr geschrieben. Dazu war die Krankheit schon zu weit fortgeschritten.

Hatten bestimmte Therapien, wie Schreibtherapie, Kunsttherapie ihn fördem können?
Es ist eher unwahrscheinlich, daß gezielte Therapien etwas bewirkt hätten. Durch sein autistisches Verhalten war er niemandem zugänglich. Zu produktiver Arbeit war er nicht in der Lage. Er verbrachte seine Zeit mit Schach, Damespielen und Malen. Er stellte irgendwelche Rechnungen auf, rauchte und aß sehr viel. Ab und zu las er auch. Fragte man ihn, war seine Antwort, er beschäftige sich mit "Spitzenmathematik", und er erstelle "Differentialparallelogramme". Keiner wußte, was damit gemeint war.
Das Zitat eines behandelnden Arztes: "Er lebte munter in den Tag hinein".
Erwähnenswert ist noch, daß er sich mit dem katholischen Glauben beschäftigt hat. Vielleicht rührt daher der Name Jakob, den er sich zulegte.

Es gehörte zu seinen Phantasien, daß er den Leuten sagte, er sei ein berühmter Dichter.
Das war auch sein Argument, als er seinen Lebenslauf schreiben sollte. Er lehnte es ab. Unterschrieben hat er mit "Professor von Hohenzollern". Mit "Professor" wollte er auch von den Pflegern angesprochen werden.

Hätten Medikamente den Krankheitsverlauf verändert?
Medikamente gegen Schizophrenie, die es erst seit 1957 gibt, hätten den Krankheitsverlauf sicher günstig beeinflußt. Die Krankheit wäre damit aufgehalten worden.

Wer hat seine Behandlungfinanziert?
Die Behandlung in der 2. Klasse (später 3. Klasse) finanzierte zuerst ausschließlich die Familie. Ab 1931 wurde es eine Mischfinanzierung. Das Bezirksamt Zehlendorf der Stadt Berlin beteiligte sich an den Kosten.

Gab es noch weitere jüdische Patienten im Christophsbad? Wie wurden sie behandelt?
Ja, es gab weitere jüdische Patienten. Sie wurden nicht anders (schlechter) behandelt als Nichtjuden.

Wurden sie auch verlegt?
Ob gleichzeitig andere jüdische Patienten verlegt wurden, ist nicht bekannt. Dazu müßte man die einzelnen Krankenakten nachlesen. Anfang der 40er Jahre sind sie aber sicher zusammen mit anderen Kranken deportiert worden, mit tödlichem Ausgang.

Wie war das Bild der Öffentlichkeit über psychisch Kranke in dieser Zeit?
Psychisch Kranke waren damals noch mehr diskriminiert als heute. "Lebensunwertes Leben" wurde vernichtet. Dazu gehörten die unheilbar Kranken, Menschen, die keine produktive Arbeit leisten konnten. Mit der Ermordung wollte man auch verhindern, daß die Krankheiten weitervererbt wurden.



6.7.1927.
Der Rapport mit dem Kranken ist infolge seiner hochgradigen Schwerhörigkeit kaum herzustellen, zumal er auch in schizophrener Weise absperrt u. überhaupt nicht angeredet sein will. Auf Aufforderung des Ref. hin, einen Lebenslauf zu schreiben, meint Pat. mit morosem Gesichtsausdruck u. unter mißbilligendem Kopfschütteln: »Mich sollte man als Schriftsteller schon längst kennen, es ist unnötig, daß ich da noch etwas verfasse. Bittet Ref. dringend um eine Cigarette, strahlt vor Vergnügen nach deren Erhalt, läßt sich aber zum Weiterreden nicht bewegen. Begrüßt die Mitkranken auf der Abteilung unter devoten Verbeugungen, sodaß sich diese, namentlich ein anderer Jude, über ihn lustig machen. Sonst fehlt ihm aber der affektive Rapport zu seiner Umgebung vollständig. Ausgesprochener Autismus. In seinem Äußern u. seiner Kleidung hochgradig Verwahrlost, alte, schmutzige, zerrissene Unterwäsche, durchlöcherte, abgeschabte Anzüge.

16.7.1927.
Hat sich auf der Abteilung gut eingewöhnt, ißt mit den andern Kranken im Speisesaal, bleibt aber sonst immer für sich, schreibt u. liest, ist ganz autistisch, aber völlig harmlos. Ißt sehr viel, möchte immer rauchen, hat Vorliebe für Tiere, die er unter komischen Verbeugungen begrüßt.

20.7.1927.
Bietet. der Behandlung keine Schwierigkeiten, ist harmlos, gutmütig, wenn man ihn ganz in Ruhe läßt, hat keinen Verkehr mit andern Kranken u. wünscht ihn auch nicht. Hat gelegentlich die Gewohnheit, seine Tür mit lautem Knall zuzuschlagen. Deswegen von einem Pfleger zur Rede gestellt schrie er diesen an: »Ich bin der Dr. Davidsohn, gehen Sie hinunter auf die Irrenabteilung, u. sagen Sie drunten, ich hätt's gesagt!« Wirkt oft komisch durch seine vielfachen devoten Verbeugungen.
Hält sich meist in seinem Zimmer auf, steht dort oft ganze Stunden lang vor seinem Spiegel u. betrachtet sich wohlgefällig. Gelegentlich schreibt er auch an sich selbst Postkarten nach Berlin, die dann wieder hierher zurückkommen, was er ganz in der Ordnung findet. Eine dieser Postkarten lautete: »Lieber Hans Davidsohn! Hier werden täglich viele Stöcke gestohlen! Herzl. Gruß Dein H. D.<< Hat im allgemeinen weder Wunsch noch Klage, nur reicht ihm oft das Essen nicht, da er einen geradezu krankhaften Appetit entwickelt, obwohl er reichlich zu essen bekommt.

Größe: 153 cm. Urin:
Gewicht: 50,4 kg. Spez. Gewicht: 1022.
Temp.: 36,9. Reaktion: sauer.
Augen: braun. Eiweiß: -
Haare: schwarz. Zucker: -



Nachts

Ja ich träume. Eine Tasse
Steht auf einem Tische rund,
Ach, was ist denn diese krasse
Sache, die ich sehend hasse?
Tut sie nicht ein Wunder kund?!

Ja Ich werde mich begnügen,
Daß es solch ein Ding noch gibt,
Das sich nicht mit Engelsflügeln
Aufwärts hebt und fort begibt.

Schließlich könnten Teller schweben,
Stühle streckend alle vier
Beine aufwärts wie Epheben -
Gott, mein Gott, ich danke dir.

Jakob van Hoddis


Letzte Ermittlung


"Wir teilen Ihnen mit" daß aus der vorliegenden
Deportationsliste Folgendes hervorgeht:

`Herr Hans Davidsohn, geb. 16.5.87 in Berlin, wurde am 30.4.1942 unter der Nr. 8 aus der Heil- und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn deportiert."
Von diesem Transport kam niemand lebend zurück.´ "

(Landesverband der jüdischen Gemeinden Rheinland-Pfalz)

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