Redebeiträge beim Symposium
"Schizophrenie im Trialog"
Universität Hamburg 25.3.2000

Mein Name ist René Talbot.

Ich bin hier auf Einladung der Hamburger Psychiatrie-Erfahrenen und aus Solidarität zu diesem Landesverband.
Nur durch dessen Unterstützung konnte der Gegenkonkress gegen den World Kongress der World Psychiatric Association letztes Jahr hier organisiert werden.
Ich weiß auch, daß ich hier bin, weil unsere Hamburger Freunde erwarten, daß ich meine Meinung sage:
Schon der scheinheilige Titel dieses Symposium - Schizophrenie im Trialog - ist eine Provokation der Psychiatrisierten - das Programm verrrät dann allerdings deutlich genug, wer mit wem im Trialog ist: Die Ärzte mit der Staatsgewalt und der Pharmaindustie.

Von den folterartigen Zwangsmassnahmen Betroffene jenes Trialoges dürfen zum Abnicken der Verbrechen gegen die Menschenrechte, die an ihnen begangen werden, freundlicherweise hier anwesend sein. Schizophrenie im Trialog, dazu hat hat Prof. Szasz eine passende Bemerkung gemacht, ich zitiere:

Schizophrenie ist ein strategisches Etikett, wie es "Jude" in Nazi-Deutschland war. Wenn man Menschen aus der sozialen Ordnung ausgrenzen will, muß man dies vor anderen, aber insbesondere vor einem selbst rechtfertigen. Also entwirft man eine rechtfertigende Redewendung. Dies ist der Punkt, um den es bei all den häßlichen psychiatrischen Vokabeln geht: sie sind rechtfertigende Redewendungen, eine etikettierende Verpackung für "Müll"; sie bedeuten "nimm ihn weg", " schaff ihn mir aus den Augen", etc. Dies bedeutete das Wort "Jude" in Nazi-Deutschland, gemeint war keine Person mit einer bestimmten religiösen Über-zeugung. Es bedeutete "Ungeziefer", "vergas es". Ich fürchte, daß "schizophren" und "sozial kranke Persönlichkeit" und viele andere psychiatrisch diagnostische Fachbegriffe genau den gleichen Sachverhalt bezeichnen; sie bedeuten "menschlicher Abfall", "nimm ihn weg", "schaff ihn mir aus den Augen".

Die zentrale Frage um die es in diesem Block geht, ist die Frage des Zwangs: das Brechen des Willens der Betroffenen mit gewaltsamen Mitteln. Um jegliches Mißverständnis auszuschliessen: Hier ist KEINE Rede vom Strafrecht, das ausgewiesene Straftaten mit dem Schutz einer Strafprozessord-nung öffentlich verhandelt.

Die Psychiatrie geht noch weit über die Sanktionen des Strafrecht hinaus. Sie arbeitet systematisch mit Körperverletzung in Form von Zwangsbehandlung. Zwangsbehandlung, die zumindest als Drohung bei ALLEN psychiatrischen Maßnahmen im Raum steht. Diese Bedrohung besteht durch die Psychisch Krankengesetze und die Zwangsbetreuungsverfahren auch dann, wenn sie nicht explizit ausgesprochen wird. Sie stellt für alle Menschen ein unkalkulierbares Risiko dar. Am treffendsten ist dafür noch ein Begriff der Nazidiktatur: Schutzhaft. Das verdeutlicht, daß es sich um ein staatlich legitimiertes System der radikalen Entrechtung von Bürgern im Interesse einer formierten Gesellschaft handelt. Diese Gewaltmaßnahmen werden in aller Regel gegen unbewaffnete und wehrlose Menschen ergriffen.

Zunächst einige Bemerkungen zu der legitimatorischen Rhetorik "Gefährdung", die selbstverständlich auch die Nazis für ihre Festnahmen zur Schutzhaftverwahrung und Beschönigung ihres Tuns benutzten. Zur anderen typisch psychiatrischen Floskel "Selbstgefährdung" komme ich später. Wenn das Reden von der "Gefährdung " nur einen diskriminierenden Kern hat, darf es kein Kriterium einer psychiatrischen Freiheitsberaubung und Körperverletzung sein: Ohne einen empirischen Beweis anzutreten, ist glaubhaft, daß z.B. junge männliche Afroamerikaner in New York, zwischen 15 und 35 in mehr Straftaten als Täter verwickelt sind, als über 75 jährige weiße Frauen in derselben Stadt. Im psychiatrischen Jargon, der sich völlig ungebrochen aus der Nazizeit hinübergerettet hat, haben also diese jungen Afroamerikaner eine sog. "Genetische Disposition" zu einem höheren sog. "Risiko" als ihre 75 jährigen Mitmenschen. Dies passiert im Jahr 2000 in dem der 8. Weltkongress psychiatrischer Genetik in Versailles - wie vorletztes Jahr der 6. Weltkongress in Bonn - "Chromosome Workshops" anbieten wird, um den angeblichen "Kandidaten Genen" für angebliche "Schizophrenie" den Kampf anzusagen.
Eine Neo-Nazi Eugenik feiert ihr Come back.

Warum gibt es nun also keine spezielle Schutzhaft für 15-35 jährige männliche Afroamerikaner? Weil es der Inbegriff staatlicher Diskriminierung wäre, eine Apartheitspolitik zu betreiben, die in keinem Staat Teil des Rechts sein darf, der sich auf die Menschenrechte und Demokratie mit dem entsprechenden Schutz vor staatlicher Benach-teiligung stützt.

Nun zu den Selbsttötungsversuchen und sog. Selbstgefährdung
1) Es ist absurd von einer angeblichen "Krankheit" zu sprechen, denn eine Krankheit hat eine Ursache, ein Selbsttötungs-versuch hat Gründe, also kann ihm nicht kausal begegnet werden. Damit hat sich jegliches Reden von "Krankheit" erübrigt.

2) Wenn der psychiatrische Apparat tatsächlich von seinen "Wohltaten" überzeugt wäre, dann könnte er leichtestens Her-zens für die Abschaffung der PsychKg´s und der Zwangsbetreuung eintreten. Er könnte seine Zwangsmaßnahmen mit dem üblichen Risiko einer Strafverfolgung wegen Freiheitsberaubung und Körperverletzung durchführen, da es ja Wohltaten sind: denn spätestens am Ende der Behandlung werden die die so behandelten Menschen die "Wohltaten" als solche erkennen, sodaß die "Wohltäter" nie etwas zu befürchten hätten. Allerdings nur, wenn es so wäre!...

3) Soll ich mit einer Liste von gesellschaftlich gebilligten Selbstgefährdungen aufwarten? Auf welch weitem Feld an Sportarten könnten sich die Psychiater betätigen? Z.B. Gleitschirmfliegen, Motoradfahren, Tauchen, Bergsteigen, Wildwasserexpeditionen. Und wie steht es um Rauchen, Alkoholgenuß, Sextorismus nach Thailand oder dem Darkroom in der Schwulenbar? Wie können sie es zulassen, daß ein Mensch sich intensivmedizini-sche Versorgung verbitten kann und dadurch vorzeitig sein Leben beendet? Aber Selbstgefährdungen sind hierzulande eben nur zulässig, solang die Handlungen einer Person nicht als "psychisch Krank" verleumdet werden!

Solange aber der psychiatische Zwang nicht ausschließlich durch die Betroffenen selbst z.b. mit einer "positiven psychiatrischen Vorausverfügung" legitimiert ist, muß vermutet werden, daß durch die psychiatrische Gewalt die Selbsttötungsrate höher ist, als ohne gesetzlich legitimierten Zwang. Es steht also die Frage im Raum, ob nicht der derzeitige psychiatrische Apparat systematisch am gewaltsamen Tod von Menschen mitschuldig geworden ist.

Diese Verantwortung trägt die deutsche Psychiatrie zusätzlich zum systematischen Massenmord, zu dessen Durchführung sie die Gaskammer als Duschraum "erfunden" hat. "Nicht die Nazis haben die Ärzte gebraucht, sondern die Ärzte die Nazis", wie Ernst Klee in seinem Film "Sichten und Vernichten" zutref-fend formuliert hat, den wir gerne hier vorführen würden. Zum Abschluß möchte ich noch mitteilen, daß ich seit neuestem durch eine Vorsorgevollmacht jegliche unerwünschte Psychiatrisierung für mich ausschließen konnte.

Ich kann nur jeder Person dringendst empfehlen, mit einer Vorsorgevoll-macht der Zwangspsychiatrie einen Riegel vorzuschieben. Dann, und nur dann, kann man als sog. "Partner" an einem Dialog teilnehmen, denn wenn eine Partei die andere mit Zwangseinweisung und Zwangsbehandlung bedrohen kann, würde das Wort "Dialog" nur eine böse Lüge be-schönigen, nämlich daß es sich tatsächlich um ein entmündigendes Befehlsverhältnis handelt. Aktuell hat gerade das Hamburger Landgericht für dieVorsorgevollmacht noch einen Grund mehr geliefert.

Es entschied, daß: "Die psychiatrische Elektroschockbehandlung bei den sog. "nicht einwilligungsfähigen Patienten" ohne Zustimmung des Vormundschaftsgerichts durchgeführt werden kann, wenn nur die nicht dominante Hirnhälfte - also bei Rechtshändern die linke Hälfte - geschockt wird. Es genügt demnach das Einverständnis des Betreuers.
Nach dieser - ich nenne es eine bösartige Willkür - Entscheidung ist es noch dringender denn je, jegliche Form von Betreuung durch eine Vorsorgevollmacht unmöglich zu machen.

Die Vorsorgevollmacht ist en detail in der Irren-Offensive nachzulesen bzw. liegt hier als 12 seitige Broschüre aus.
Ich hoffe, daß durch die reichliche Verwendung der Vorsorgevollmacht solche Trialog, sprich Trialüg - lüg nicht log - Veranstaltungen bald endlich der Vergangenheit angehören. Und wenn dann eines Tages alle psychiatrischen Sondergesetze aufgehoben sind und es sogar keine Forenik mehr gibt, daß wir dann über die Verbrechen der Vergangenheit und welche Wiedergutmachung dafür zu zahlen ist, ins Gespräch kommen. Das können wir dann auch guten Gewissens Dia- oder Trialog nennen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


Theodor W. Adorno
äußerte die Utopie "ohne Angst verschieden sein zu dürfen".

Ich wünsche mir, daß wir dieser Utopie endlich ein Stück näher kommen.

Ich bin Diplompädagoge und Keramikerin. Meine wichtigste Qualifizierung ist die Erfahrung einer Sinnkrise, so möchte ich das Sammelsurium aller Diagnosen aus dem schizophrenen Formenkreis zusammenfassen, die man mir verpaßte.

Ich bin Schwester von Dorothea Buck und René Talbot.
Was Herr Talbot sagte, stimmt. Der Geist, von dem er sprach, lebt bis in die Gegenwart. Wir dürfen nicht wegschauen. Hierzu ein Beispiel aus jüngster Vergangenheit. Vor einem Jahr bat ich um die Gelegenheit, zu den Studenten von Professor Übelhack in der Charité Berlin zu sprechen. Er hatte mich vor zehn Jahren als Musterbeispiel von Schizophrenie in seiner Vorlesung vorstellen wollen. Ich bekam 3 Minuten Redezeit, in der er mich mehrfach unterbrach. Als ich draußen war, sagte er "Diese Frau ist zu einer logischen Gedankenfolge nicht in der Lage, wir können heute nicht mehr verhindern, daß solche Existenzen das Wort ergreifen." Meine Tochter (Sozialpädagoge) saß in der obersten Reihe im Hörsaal.

Es ist ein ungeheuerliche Anmaßung, wenn Menschen andere Menschen einstufen, verurteilen, ihnen Diagnosen verpassen. Wir erwarten Ehrfurcht und Respekt vor der wunderbaren mikrokosmischen Dynamik im Innern eines Menschen, vor den geheimnisvollen Prozessen, die man nicht außen messen kann, z. B. daran, ob eine Frau noch grüne Bohnen kochen kann.

Nach Wiedererlangung meiner Gesundheit sagte der Chefarzt, der mir meine abgelichtete Akte übergab, zu mir, alle Diagnosen quer durch den schizophrenen Formenkreis seien Fehldiagnosen, es wäre nur eine Neurose gewesen.
In meiner 10-jährigen Selbsthilfegruppenarbeit könnte ich allein mit den Menschen, denen ich begegnet bin, die Unwissenschaftlichkeit der Diagnose Schizophrenie nachweisen. Für die Anwesenden hier im Hörsaal wäre das auch ein Leichtes. Solche Diagnosen sind unhaltbar. Sie stigmatisieren und bringen unzähligen Menschen schweren Schaden, vielen den freiwilligen Tod. Wer das erkennt und nichts dagegen tut, macht sich schon im Nicht-Handeln schuldig.

Akteure von Entstigmatisierungskampagnen sind nur dann als glaubhaft anzusehen, wenn sie bereit sind, ihre Erkenntnis auch in politischen Handlungswillen umzusetzen.

Ich stelle hier und heute den Antrag auf Streichung aller Diagnosen aus dem schizophrenen Formenkreis und schlage vor, diese als Sinnkrise bzw. soziale Kommunikationsstörung oder ähnlich zu bezeichnen.

An ca. Zehn verschiedenen Trialoggruppen habe ich teilgenommen. Ein großer Teil der Erfahrenen fühlte sich wie in einem Zoo vorgeführt. Trialog kann erst dann ehrlich möglich werden, wenn das Machtgefalle beseitigt ist, wenn Krankengeschichten wieder als Lebensgeschichten verstanden werden.

Jeder Mensch hat das Recht, alle seine Erfahrungen in den Sinnzusammenhang seiner Biografie zu stellen.

Eva-Maria Kriesel

HOME
Impressum