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»Das
ist unser Sieg auf der ganzen Linie!« Die Genugtuung war ihm deutlich
anzusehen, als Rene
Talbot, Sprecher der Berliner »Irren-Offensive« von der
Entscheidung des Bundeskabinetts hörte. Am Donnerstag hatte es seine
Stellungnahme zur Reform des Betreuungsrechts bei psychisch Kranken
veröffentlicht. Dort heißt es: »Die Bundesregierung lehnt den Vorschlag
ab, durch gerichtliche Genehmigung die zwangsweise Zuführung durch den
Betreuer zur ärztlichen Heilbehandlung zu ermöglichen. Dagegen sprechen
vor allem verfassungsrechtliche Gründe.« Das Kabinett empfiehlt
deshalb, den Paragraphen 1906a, der eine ambulante Zwangsbehandlung der
Betroffenen regeln sollte, aus der geplanten Gesetzesnovelle zu
streichen. Die Einfügung dieses Paragraphen hatte das Land Bayern im
Dezember im Bundesrat vorgeschlagen.
Begrüßt wird von der Bundesregierung das übergeordnete Ziel der
Gesetzesänderung, »die vorhandenen Instrumente der Betreuungsvermeidung
zu stärken«. Dabei geht es vor allem darum, die Kosten psychiatrischer
Behandlungen zu verringern. Dies trifft auf die Zustimmung Talbots. Die
Art der Einsparungen stärke die Selbstbestimmungsrechte der Kranken.
Die Positionierung der Regierung gegen den Paragraphen 1906a sei indes
erst nach »unserer monatelangen Kampagne zustandegekommen«, betont Talbot.
Betroffenenorganisationen wie die »Irren-Offensive« und der
»Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener« hatten seit dem letztem Sommer
mobil gemacht, um die aus ihrer Sicht mit der Einführung des neuen
Paragraphen drohende neue Dimension der Gewaltanwendung gegen psychisch
Kranke zu verhindern. Sie mobilisierten zu mehreren Dutzend
Kundgebungen vor Landesregierungssitzen, bei Bundesratssitzungen und
vor dem Bundesjustizministerium. Und sie initiierten ein juristisches
Gutachten zum Paragraphen 1906a, dessen Verfasser Mitte Januar
»erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken« gegen dessen Inhalt geltend
machten.
Nachdem im November das Vorhaben der Initiativen gescheitert war, die
Unterstützung des 1906a durch den Bundesrat zu verhindern, zeichnete
sich der jetzige Erfolg schon zu Beginn der Woche ab. Am Montag
erklärte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Markus Kurth, die Regelung
sei »mit ganz erheblichen Beeinträchtigungen der Würde, der Rechte und
der Gesundheit der Betroffenen verbunden.« Deshalb fordere man die
»Streichung der ambulanten Zwangsbehandlung aus dem Entwurf des
Betreuungsrechts.« Mit dem Übernehmen der verfassungsrechtlichen
Bedenken zum 1906a durch die Bundesregierung ist die Ablehnung des
Paragraphen durch die SPD-Fraktion bei der Abstimmung über die
Gesetzesnovelle im Frühjahr im Parlament so gut wie sicher.
Matthias
Pfeiffer
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